Texte

Ingeborg Besch:
Text für den Katalog Prix D'art Kunstpreis Robert Schumann
2011

Susanne Specht

Die Freiheit im Gesetz

Susanne Specht hat die Bildhauerei im traditionellen Sinne erlernt und ausgeübt. Ihre Arbeiten befinden sich etwa im Tiergartendreieck in Berlin, im Nuthepark in Potsdam und im Skulpturenpark in Heidelberg. Diese Artefakte haben eine bleibende Gestalt, verdrängen für immer ein bestimmtes Maß an Kubikmetern Raumvolumen.

Seit rund 5 Jahren hat sich die Arbeitsweise der Künstlerin grundlegend geändert. Sie gestaltet Module, die durch Addition das Werk generieren. Dabei ergibt sich eine veränderbare Gestalt. Das einzelne Modul behält seine Form, wie zuvor die gesamte Arbeit, aber diese entsteht nun aus einer variablen Anzahl von Modulen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen zusammengesetzt werden.

Wenig verleiht der Kunst so nachhaltige Dauer und Unverrückbarkeit wie die Artefakte der traditionellen Bildhauerei. Als Wesensmerkmal kam der körperliche Einsatz, die Handarbeit hinzu. Susanne Specht hat vertraute Elemente zum Teil aufgegeben. Die Form ihrer Module wird von ihr erdacht, die Ausführung übernehmen andere oder eine Maschine, wie etwa das Gießen der Elemente in Beton oder das Ausdrucken der Formen in Kunststoff.

Bei einer bestimmten Anzahl von Modulen eines bestimmten Grundtyps ist also eine errechenbare Anzahl an Zusammensetzungen möglich. Werden zwei Grundtypen eingesetzt, steigert sich die Zahl der Möglichkeiten. Das Entscheidende in diesem Prozess ist aber nicht die Menge der Möglichkeiten oder gar deren Umsetzung, sondern die Erkenntnis, dass aus einem festgelegten, statischen Regelsystem ohne subjektive Entäußerung die Mannigfaltigkeit hervorgeht. Das Material des Moduls, die Maße und das Gewicht, die Farbe, die Form – all das wird bei der Gestalt, die aus der Fülle der zu denkenden Möglichkeiten in die Welt entlassen wird, das Werk bestimmen. Und wird am Ende die Dimension des sinnlich Subjektiven wieder hervorbringen. Was mit subjektferner Form begonnen hatte, generiert Vielfalt, Bewegung, das Subjektive, das Spiel, die daraus resultierende Freude, das Sinnliche und vereint all dies mit den Fähigkeiten unseres kognitiven und analytischen Verstandes.

Während Arbeiten aus Matrix 2 oder der Kombination aus Matrix 2 und 1, Module aus rot eingefärbtem Beton, den Charakter des Gebauten, auch Schweren aufweisen und ihre Anmut über die Farbe zurück erhalten, fließen die Werke mit dem Titel Formendlos in tänzerischer Verspieltheit, ranken sich um ihr Metallgerüst und wachsen in ihrer hellen und leichten Farbgebung bei leichtem Material endlos weiter in die Welt hinaus.

Über die aus einem Block gearbeiteten Skulpturen schreibt die Kunsthistorikerin Birgit Möckel: "Auch wenn die großformatigen Außenskulpturen ganz bewusst Orte definieren und diese noch so gravitätisch besetzen, lassen sie doch größtmögliche Freiheit für Bewegungsabläufe und Denkräume." 1 Da scheint mir der Bassschlüssel für Spechts Schaffen benannt zu sein: Freiheit für Bewegungsabläufe und Denkräume. Sie wählt allerdings nicht ein flexibles Medium, wie etwa eine grafische Umsetzung, sondern das aufwendige, zeitintensive der Bildhauerei. So führt sie uns am sperrigen Material die Möglichkeit der Freiheit im Gesetz vor Augen. in einem Material, welches Planung und Technik verlangt, vermag sie die Schönheit der Freiheit zu setzen und sie von Willkür abzusetzen.

 

1 http://www.kuenstlerlexikonsaar.de/plastik/artikel/-/specht-susanne/