Texte

Liane Wilhelmus:
Eröffnungsrede für die Ausstellung Galerie Besch, Saarbrücken
15.1.-19.2.2012

Susanne Specht – UmOrdnung

Die Skulpturen der Bildhauerin Susanne Specht (geb. 1958) werden mit Begriffen wie "Experimentierfreude", "Offenheit", "Freiheit" und "Mehrdimensionalität" charakterisiert.1 Diese Merkmale treffen auch auf die aktuelleren Arbeiten zu: Denn die Skulpturen mit den Titeln wie "UmOrdnung" (2011) und "Curva Cube" (2008) entstehen aus einer variablen Menge an Modulen, die in einer veränderten Anzahl an einem anderen Ort zu einem neuen Ergebnis zusammengesetzt werden können. In der Horizontalen und in der Vertikalen entstehen so vielfache Möglichkeiten, die Skulpturen frei in den Raum zu entfalten. Es erstaunt, dass die Idee zu diesen technisch-mathematisch wirkenden Skulpturen mit ihrem Modulsystem in der Steinbildhauerei entwickelt wurde. Diese hat die gebürtige Saarbrückerin an der Hochschule der Künste (heute: Universität der Künste) in Berlin von der Pike auf gelernt. Der in der Natur vorgefundene Stein war in den letzten drei Jahrzehnten der Ausgangspunkt ihres Schaffens. Vom Material geleitet legte sie die über Jahrmillionen gewachsenen Strukturen im Inneren des Steins frei. Diese Geschichte des Steins, die in seiner inneren Struktur sichtbar wurde, zeugte von Zeit und Dauer seiner Entstehung und manifestierte sich in diesen Arbeiten. In dieser Steinbildhauerei liegen auch die Anfänge der heutigen geometrischen Formensprache und des Modulsystems der neueren Arbeiten: Ausgangspunkt waren ehemals Feldsteine (meist Eklogit, aber auch Granit), in deren Bearbeitung Susanne Specht Rissen, Klüften und Spalten im Material nachforschte, diese vergrößerte oder öffnete, Einschnitte vertiefte oder auch einzelne Elemente herauslöste. Aus dem Stein wurden so geometrische Formen – Stufen, Treppen, Nischen, fenster- und torartige Öffnungen – herausgearbeitet, ohne den Steincharakter mit seiner unregelmäßigen Oberfläche völlig zu zerstören. Gewachsene Natur und von Menschenhand erschaffene Architektur wurden so in Eins zusammengebracht. Diese so bearbeiteten und auseinandergelegten Steine wurden in einem folgenden Arbeitsschritt wieder zusammengesetzt, einmal herausgelöste Elemente wieder im Stein zusammengefügt. Im Nachgehen der dem Stein innewohnenden Struktur gelangte Susanne Specht somit zu einem additiven, architektonischen System, das sie schließlich zum Modulprinzip weiterführte.

Vom Umordnen und Zusammensetzen

Ging sie also ehemals von einem Stein aus, den sie durch Bearbeitung zerlegen und wieder in seine alte Form zusammensetzen konnte, ist nun der Einzelbaustein der Ausgangspunkt der Skulpturen, der zusammengefügt mit weiteren Modulen ein neuartiges und gewachsenes Ganzes ergibt – eine Bauweise, die man als "modular" und "seriell" charakterisieren könnte. Diese Module, egal ob dreidimensional oder auch als lineare Zeichnung auf Holzplatten oder Papier, sind auf einfache, geometrische Figuren rückführbar, nämlich auf das Quadrat und den Viertelkreis. Aus diesen beiden Grundformen, die z. B. durch Zusammensetzungen, Längungen oder im Dreidimensionalen durch schlitzartige Öffnungen variiert werden können, lässt sich ein imaginär unendlich fortführbares und wandelbares Baukastensystem bilden. Die originäre künstlerische Handschrift in Form von Arbeitsspuren ist in diesen Werken, im Gegensatz zu den früheren Steinskulpturen, nicht mehr zu finden – alles ist der geometrischen Form untergeordnet. Die Bildsprache ist, wie in der Konkreten Kunst, zu denen man die Werke zählen kann, auf Farbe und geometrische Form reduziert. In der Auseinandersetzung mit dem Modulsystem erfolgte die Hinwendung zu neuen Materialien. Die Arbeit am und mit dem Naturstein trat in den Hintergrund, stattdessen arbeitet Susanne Specht nun mit frei gestaltbaren Materialien, wie Beton und Kunststoff. Die Wahl dieser Werkstoffe liegt vor allem in deren freien Gestalt- und Formbarkeit begründet, wohingegen der Stein schon von seiner Kontur und Ausdehnung her begrenzt ist – ein Fakt, der Susanne Specht schließlich dazu bewegte, sich vom Stein abzuwenden. Es eröffneten sich ihr somit vielschichtige Gestaltungsmöglichkeiten, wie etwa an "Curva Cube" (2008) ablesbar. Die Arbeit setzt sich aus einer variablen Anzahl an Modulen zusammen. Ein einzelner Baustein zeigt – beruhend auf Quadrat und Viertelkreis – unterschiedliche Seitenansichten: Es finden sich raumausgreifende Bögen, geschlossene Flächen, raumbildende Öffnungen, Ecken und Rundungen. Der Baustein steht somit für sich als Einzelform, stellt aber gleichzeitig auch ein pars pro toto eines größeren Zusammenhangs, nämlich der seriell zusammengebauten Skulptur, dar. In diesen Bausteinen der Betonskulpturen ist der Gedanke der modularen Zusammensetzung noch verdoppelt: Denn während die Skulptur aus einzelnen Modulen gebaut wird, entsteht dieses selbst aus der Zusammensetzung von einzelnen, in Form geschnittenen und gestapelten MDF-Platten, von denen ein Abguss genommen wird. Dieser Abguss wiederum stellt die Negativform für den Betonbaustein dar. Die Zusammensetzung aus den einzelnen Platten lässt sich an seinen Außenrändern noch ablesen. Farbpigmente, die dem Beton beigemischt werden, und die später mit Wachs bearbeitete Oberfläche verleihen den Einzelmodulen Individualität, da die Farbe je nach Dichte des Materials changiert.

Die Betonbausteine lassen sich in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen auf vielfache Weise zusammensetzen, so dass raumausgreifende und raumbildende architektonische Skulpturen entstehen. Durch die variantenreiche Zusammenfügung der Module und deren freie Erweiterbarkeit, durch Drehung und serielle Reihung ergeben sich immer wieder neue Ansichten von geschlossenen Flächen, muldenartigen Vertiefungen, Räumen oder auch Öffnungen und Durchblicke, die den Betrachter entlang und auch durch die Skulptur hindurch führen.

Wirken die Betonarbeiten sehr schwer und gravitätisch, kommen Werke aus Kunststoff, wie z. B. "Formendlos", auf deren glänzenden Oberfläche sich das Licht bricht, leicht und heiter daher. Auch hier findet sich das gleiche Prinzip der Module: Beginnend auf der oberen Plattform des Metallständers sind die Module in einem symmetrischen Aufbau gegenüberliegend und spiegelverkehrt aufgebaut. Von dort ausgehend ranken sie sich ineinandergesteckt auf fast tänzerische und schwerelose Weise um das Metallgerüst. Die anfängliche Symmetrie wird nun aufgebrochen und die beiden Stränge in unterschiedliche Richtungen gedreht, indem ein Modul in einer anderen Ausrichtung eingesteckt wird. Hierdurch entsteht Bewegung, die, bei Verwendung weiterer Bausteine, eben "formendlos" ins Unendliche fortsetzbar wäre. Zeit und Dauer spielen also, wie ehemals in den Steinarbeiten, auch in diesen neuen Werken eine Rolle.

Mit den neuen Werkstoffen änderte sich auch die Arbeitsweise. Während die Steinskulpturen von der Idee bis hin zur Ausführung aus den Händen der Künstlerin entstanden, liegt nun der Fokus auf der Idee sowie Konzeption und sodann im Zusammensetzen der Skulptur. Die Arbeiten entstehen am Computer, an dem die Künstlerin spielerisch verschiedene Zusammensetzungen austesten kann. Die Ausführung der Kunststoffmodule geschieht dann per Ausdruck über einen 3D-Plotter, wie er im Modellbau verwendet wird, also maschinell und ohne künstlerisches Mitwirken der Bildhauerin.

Vom Dreidimensionalen ins Zweidimensionale ins Dreidimensionale ins Zweidimensionale

Die Grundformen von Quadrat und Viertelkreis finden sich in den Wandarbeiten von Susanne Specht ins Zweidimensionale und Lineare umgesetzt, wie etwa "Umordnung – 32 aus 1001" von 2011. Das Werk besteht aus 32 quadratischen Modulen aus MDF-Platten in einer Anzahl von mehreren Modultypen. Die Zahl "1001" im Titel verweist im Übrigen bereits auf die theoretisch erweiterbare Arbeit, lässt allerdings auch weitere Assoziationen zu. Zwei Modultypen sind mit einer auf Quadrat und Viertelkreis beruhenden Lineatur überzogen. Nach allen vier Seiten suchen, immer im selben Abstand, zwei Linien Anschluss an die nächste Platte, d. h. jede Platte ist mit der nebenliegenden an allen vier Seiten kompatibel. Variation bringt nicht nur die Drehung der Plattenmodule, sondern auch die Farbzusammensetzung ins Spiel, wo einmal das Orange den Hintergrund bildet, bildet es im anderen Typ die Lineatur. Durch das Abtasten der Strukturen mit dem Betrachterauge ergibt sich ein linearer und zeitlicher Ablauf im Bild, der auch hier theoretisch ins Unendliche erweiterbar wäre. Gegen diese Bewegung arbeiten wiederum reine Farbmodule, die dem Auge Ruhepunkte und Pausen bieten. Auch hier finden sich also die Faktoren "Zeit", "Dauer" und "Bewegung". Ein zwischen zwei Platten eingehängtes Plexiglasmodul erweitert die Fläche schließlich ins Dreidimensionale, ins Reliefartige. Es handelt sich hierbei um die Negativform eines Modulzuschnitts einer anderen Arbeit Spechts, die den Formenkanon variiert. "UmOrdnung" bedeutet bei diesem Werk, dass die Wandarbeit nicht nur erweiterbar und in ihrer Zusammensetzung variierbar ist, sondern dass die MDF-Platten auch in die Höhe skulptural stapelbar sind. An ihren schmalen Außenseiten zeigen die gestapelten Platten dann die Linienanschlüsse in vertikaler Reihung.

Ein letztes Wort zum grafischen Werk, das hier in zwei Werkgruppen ausgestellt ist. Beide schließen an die modularen Skulpturen an, ohne etwa Skizzen oder Entwürfe zu sein. Es sind somit ganz eigenständige Arbeiten. Kaum merkliche Reliefdrucke, wie etwa "EinDruck" (2011), die Räumlichkeit herstellen, spielen in der aktuelleren Werkgruppe eine Rolle. Sie zeigen mit Bleistift durchschraffierte Abdrucke kleinformatiger Module, die in manchen Arbeiten pflanzenartig nach allen Seiten hin wachsen, durch eine feste Bleistiftkontur jedoch fest zusammengehalten werden. Die modulare Struktur ist nur als "Abbild" in das Papier eingeprägt. Ganz anders die von Susanne Specht fast schon liebevoll benannten "Kartoffelographien" aus dem Jahr 2002: Mit Kartoffeln und schwarzer Tusche sind von einem festen Kern ausgehend zu den Bildrändern mehrschichtige Lineaturen in einem schnellen Akt gezogen, die seitlich über den Bildrand hinaustreten. Hier lebt die individuelle Handschrift der Künstlerin noch am ehesten wieder auf. Diese Zeichnungen sind jeweils in Kastenformen gerahmt, die durch sandgestrahltes Glas nur einen Ausschnitt der jeweiligen Zeichnung erkennen lassen. Durch Reihung dieser Kastenbilder, deren Linien von Bildrand zu Bildrand Anschluss suchen, wird auch in diesen Zeichnungen die Idee eines modularen, mehrteilig-seriellen Systems aufgegriffen.

Mit Blick auf die Arbeiten Susanne Spechts erklärt sich also auch der Titel der Ausstellung: "UmOrdnung". Ein Wort, das, zumal in dieser Schreibweise, doppelt lesbar ist: Zum einen meint es die Ordnung der Module zu einer Skulptur. Und zum anderen beschreibt es die Möglichkeit des Variierens und die Mehrdimensionalität dieser Ordnung in eine wiederum andere, meist ortsspezifische Zusammenstellung. Eine Skulptur oder ein Wandbild kann in einem anderen Zusammenhang somit völlig neu aufgebaut werden, um immer wieder neue Einblicke und Ansichten in und auf das Werk zu geben.

 

verwendete Literatur:

Birgit Möckel: Susanne Specht, in: Künstlerlexikon Saar, http://www.kuenstlerlexikonsaar.de/plastik/artikel/-/specht-susanne/

Ausstellungskatalog "Susanne Specht. Zeichnung und Skulptur", Hg. Stadt Wolfsburg. Bildhauerprojekt im Schloss Wolfsburg, Werkstatt Schloss. Wolfsburg 1995

Ausstellungskatalog "Susanne Specht". Hg. Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken e.V. Saarbrücken 2003

Ausstellungskatalog "Susanne Specht Zusammen-Setzen". Hg. Galerie Schlassgoart. Luxembourg 2006

Ausstellungskatalog "Susanne Specht - Hermann Rudorf". Hg. Investitionsbank. Berlin 2007